Interview: „Unternehmen brauchen professionelle Kompetenzen in der Aufsichtsratsarbeit“

Düsseldorf, 07.06.2018

HEADSAHEAD lädt am 5. Juli erstmals zu einem Praxis-Forum für Aufsichtsratsvorsitzende. Im Interview erklären zwei der Initiatoren, warum sie den Austausch für notwendig halten. Stefan Eltgen ist Partner bei HEADSAHEAD, hat fast 20 Jahre Mandatserfahrung und sitzt aktuell in zwei Aufsichtsräten. Klaus Möllerfriedrich ist Aufsichtsratsvorsitzender der Gesco AG und Mitglied in drei weiteren Aufsichtsräten. Aus ihren Erfahrungen wissen sie: Die Tätigkeit im Aufsichtsrat hat sich in den vergangenen Jahren massiv verändert, die Anforderungen sind schärfer geworden.

Herr Eltgen, einer Ihrer Schwerpunkte in der Executive Search Beratung ist die Besetzung von Aufsichts- und Beiräten. Können Sie einen Trend ausmachen, hat sich der Fokus der Unternehmen bei der Suche nach geeigneten Kandidaten verändert?

Stefan Eltgen: Der Arbeit in den Gremien wird immer mehr Bedeutung beigemessen, das erleben wir in der Praxis ganz deutlich. Auch nicht-börsennotierte Unternehmen stellen fest, dass sie professionelle Kompetenzen in Aufsichts- und Beiräten benötigen. Manche Unternehmen spüren dies schmerzhaft, weil sie Mühe bekommen, die dynamische Markt- und Wettbewerbsentwicklung auch in den Gremien richtig einzuschätzen. Andere, weil sie spezifische Aufgaben wie Nachfolgeregelungen bzw. Generationswechsel erfolgreich absichern wollen. Daraus resultiert der Trend, die Aufsichts- und Beiratsarbeit insgesamt zu professionalisieren und damit auch die Besetzung professionell durchzuführen.

Wann hat dieser Trend der Professionalisierung in Aufsichtsräten eingesetzt?

Klaus Möllerfriedrich: Die Zusammensetzung und Qualifizierung von Aufsichtsräten und Beiräten hat sich in den vergangenen zehn Jahren deutlich verändert. Im Bereich der börsennotierten Gesellschaften hat sich dieser Trend durch die Regelungen des Corporate Governance Kodex noch beschleunigt. Frauenquote, Diversity, Internationalisierung. Finanzexpertenzwang haben auch das Auswahlverfahren professionalisiert. Bei Beiräten von Familienunternehmen ist der Trend auch festzustellen, aber noch nicht durchgängig. Hier findet man immer noch den eigenen Rechtsanwalt, Steuerberater oder befreundeten Unternehmerkollegen im Aufsichtsrat oder Beirat.

Worin liegt bei der Suche nach Aufsichtsräten die große Herausforderung?

Eltgen: Zwei Ebenen sind von Bedeutung. Erstens: die Situation des Unternehmens richtig verstehen und daraus die erforderlichen Anforderungen an den Kandidaten abzuleiten. Zweitens: Kandidaten mit der notwendigen fachlichen Kompetenz in der Kombination mit den passenden persönlichen Eigenschaften zu finden.

Möllerfriedrich: Genau dieser Faktor Mensch hat sich in den vergangenen zwei Jahren bei der Auswahl wieder verstärkt durchgesetzt. Fachliche Kompetenzen können eher leicht abgedeckt werden, aber zwei oder drei Alphatiere in einem Gremium – das kann zum Problem werden. Im Vordergrund steht bei der Besetzung die vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Auch der Faktor Zeit spielt vor allem bei Aufsichtsräten und entscheidungsverantwortlichen Beiräten eine immer größere Rolle. Vor allem bei börsennotierten Gesellschaften ist der Zeitaufwand erheblich und führt zu Zeitkollisionen mit anderen beruflichen Tätigkeiten.

Zu Ihrer Beratertätigkeit zählt eine akribische Analyse des Unternehmens. Wenn Sie diese auf eine Kernfrage herunterbrechen müssten, wie würde sie lauten?

Eltgen: Welches Ziel, welche Aufgabe soll der Aufsichtsrat und insbesondere der Beirat über die reine vorgegebene Kontrollpflicht der Geschäftsleitung hinaus erfüllen?

Wenn es beispielsweise im Beirat zugespitzt nur um die Sicherstellung der „Alleinherrschaft“ des Inhabers bzw. Gesellschafters geht, dann ist keine professionell-kritische Gremienarbeit gewollt und der Gesellschafter findet sicher jemanden aus seinem Netzwerk, wir klappen dann die Bücher zu.

Wenn aber der Aufsichts- bzw. Beirat seine Kernpflicht, die Geschäftsleitung zu überwachen, mit dem Ziel verfolgen soll, für nachhaltige Wertschöpfung und der Sicherung des Fortbestandes des Unternehmens zu sorgen, dann lautet die Folgefrage: In welcher Situation befindet sich das Unternehmen und wo soll es sich hin entwickeln?

Warum halten Sie diese Frage für entscheidend?

Eltgen: Je nachdem, ob ein Wachstums-, Konsolidierungs-, Change- oder auch Sanierungsszenario vorliegt, sind ganz unterschiedliche Kompetenzen und Erfahrungen gefragt. Nur wenn man in der Lage ist, diese fachlichen und persönlichen Anforderungen konkret zu benennen, wird man den passenden Kandidaten oder die passende Kandidatin finden.

Möllerfriedrich: Zudem sind die Anforderungen an die Unternehmensleiter und Aufsichtsräte heute deutlich höher und vor allem komplexer als vor einigen Jahren oder Jahrzehnten. Heute braucht eine erfolgreiche Unternehmensführung Kompetenz im Inneren sowie von außen.

Bestes Beispiel ist die Digitalisierung. Die Anforderungen, die hierdurch an das Unternehmen und seine Führung gestellt werden, können nicht mehr ohne Hilfe von kompetenten Beratern gestemmt werden. Diese Kompetenzen müssen dann auch beim Management selbst und in den Aufsichtsräten und Beiräten vorhanden sein, um eine qualifizierte Beirats- oder Aufsichtsratsarbeit zu gewährleisten.

Für Unternehmen gilt also bei der Kandidatensuche, die eigene Situation genau unter die Lupe zu nehmen und daraus die Anforderungen abzuleiten. Geschieht dies in der Praxis denn auch?

Möllerfriedrich: Im verstärkten Maße ja. Vor allem bei Familienunternehmen erfolgte in der Vergangenheit die Bildung und Besetzung eines Beirates durch Druck von außen bzw. nach dem Gesichtsfaktorprinzip: Wer ist mir zugetan und wer lässt mich ungestört das Unternehmen führen? Heute spielen die Kompetenzen, die das Unternehmen fördern können, die wesentliche Rolle. Durch professionelle Auswahlverfahren wird auch vermieden, dass das Management die Zusammensetzung des Aufsichtsrats bestimmt und sich nur ihm wohl gesonnene Mitglieder aussucht.

Herr Eltgen, Sie haben seit 20 Jahren Mandatserfahrung und sitzen aktuell in zwei Aufsichtsräten: seit 2015 im Aufsichtsrat der MPREIS Warenvertriebs GmbH, einer österreichischen Supermarktkette, seit 2016 als Aufsichtsratsvorsitzender der J. Bünting Beteiligungs AG. Wie beeinflusst das Ihre Beratertätigkeit bei Aufsichtsratssuchen?

Eltgen: Die eigene praktische Erfahrung erleichtert das Verständnis der konkreten Situation im Unternehmen und im Gremium erheblich und ermöglicht mit dem Blick von außen einen wertvollen Austausch mit den Eigentümern und Aufsichtsratsvorsitzenden, um die richtigen Anforderungen festzulegen. Dies ist ein ganz entscheidender Bestandteil unserer Beratungsleistung.

Worauf legen Sie besonderen Wert, wenn Sie einem Unternehmen eine Liste von möglichen Kandidaten präsentieren?

Eltgen: Wir versuchen, jeweils etwas unterschiedliche Persönlichkeiten vorzustellen, weil wir immer wieder feststellen, dass die Unternehmen durch das konkrete Kennenlernen der Kandidaten im Vergleich noch mehr Klarheit über die Anforderungen erlangen. Der entscheidende Punkt neben der – selbstverständlichen – Erfüllung der fachlichen Anforderungen ist dann die persönliche „Passung“ der Kandidaten.

Steigt die Nachfrage nach weiblichen Kandidaten?

Eltgen: Grundsätzlich ja. Die angemessene Berücksichtigung von Vielfalt in dieser Hinsicht ist häufig ein Teil der Anforderungen.

Am 5. Juli lädt Ihre Beraterorganisation HEADSAHEAD in Düsseldorf Vorsitzende von Aufsichtsratsgremien kleinerer und mittelgroßer Aktiengesellschaften zu einem Praxis-Forum unter dem Titel „Professionalisierung der Aufsichtsratsarbeit ein“. Wie kam die Idee zustande?

Eltgen: Die besagte Professionalisierung in der Aufsichts- und Beiratsarbeit erfordert folgerichtig eine Professionalisierung der Besetzung der Mandate, insbesondere der Vorsitzenden. Dies haben wir daher als einen Arbeitsschwerpunkt gewählt und wollen gezielt mit Aufsichtsratsvorsitzenden zu dem Thema Professionalisierung ins Gespräch kommen. Darum haben wir dieses Format des Praxis-Austausches gewählt.

Welchen Service bietet die Veranstaltung den Teilnehmern?

Möllerfriedrich: Es gibt inzwischen viele Schulungs- und Fachveranstaltungen für Aufsichts- und Beiräte, die aber sehr theoretisch ausgerichtet sind. Anleitungen zur praktischen Umsetzung gibt es in der Regel nicht. Da ist dann der verantwortliche Aufsichtsratsvorsitzende häufig sich selbst überlassen.

Wir selbst haben uns häufig in dieser Situation befunden und hätten gerne einen Austausch mit Kollegen gehabt. Mit dem Round-Table wollen wir diese Lücke schließen – vor allem mit Blick auf die sich immer weiter ausdehnenden Aufgaben eines Aufsichtsratsvorsitzenden.

Was sind denn die größten Schwierigkeiten, denen sich Aufsichtsräte heute stellen müssen?

Möllerfriedrich: Eindeutig: die Haftungsrisiken. Heutzutage unterliegt die Aufsichtsratsarbeit einer ständigen Kontrolle durch die Investorenseite oder anderer Stakeholder. Die Gefahr eines Haftungsfalls ist permanent gegeben. Corporate Governance, Compliance, Business Judgement Rule sind Themen, mit denen man sich vor 20 Jahren in den Aufsichtsräten überhaupt nicht beschäftigt hat. Heute sind sie auf jeder Sitzung und jeder Entscheidung präsent.

Herr Eltgen, Müssen Sie bei den Kandidaten Überzeugungsarbeit leisten? Warum sollte sich ein höchst erfolgreich agierender Manager noch ein Aufsichtsratsmandat aufhalsen?

Eltgen: Nein, wer sich erst überzeugen lassen muss, ist falsch. Im Gegenteil, man sollte Freude und Begeisterung daran haben, an maßgeblicher Stelle am Erfolg eines Unternehmens mitarbeiten zu können.

Worin besteht für Sie die Freude in der Aufsichtsratstätigkeit?

Möllerfriedrich: Die Vergütung ist es in der Regel nicht. Gerade bei kleinen Gesellschaften ist sie üblicherweise äußerst gering und entspricht nicht dem Zeitaufwand, den man heute leisten muss. Es gehört deshalb großer Idealismus dazu. Aber es macht Spaß, Unternehmen zu begleiten und an deren Erfolg mitzuwirken.

Eltgen: Ich erlebe das ähnlich. Ich habe ein Faible für inhabergeführte und Familienunternehmen. Es macht mir schlicht großen Spaß mitzuhelfen, dass insbesondere auch mittelständische Unternehmen gut geführt werden und sich ihre Berechtigung im Wettbewerb erhalten.

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